11.10.06

Chambre à louer

Adretter, sympathischer, vielbeschäftigter, zerstreuter Arzt in den späten Mittvierzigern vermietet nette Wohnung in Nizza mit Blick auf eine gern frequentierte Straßenkreuzung.
Interessenten werden gebeten, in der zentral gelegenen Arztpraxis persönlich vorstellig zu werden. Sollte der Vermieter nicht anzutreffen sein, so wird ein kurzes Telefongespräch dieses Problem beseitigen. Ein freundliches, mehrmals wiederholtes "J'arrive" (französisch für: Ich esse gerade, oder gehe einer ähnlich zeitintensiven Tätigkeit nach, die mich noch ca. 3 Stunden in Anspruch nimmt, woraufhin ich umgehend eine Klapperkiste, die ich "voiture" nenne, besteigen und über Schleichwege und Fußgängerzonen zu dir eilen werde) wird zu hören sein, und man sich zumindest darüber freuen, dass das Gesuch nicht von vornherein abgelehnt wird. In Anwesenheit des Vermieters wird dem Wohnugssuchenden empfohlen, sich länger andauernde Plädoyers über Vor- und Nachteile verschiedener Mietertypen, eng verknüpft mit deren Nationalität, nickenderweise anzuhören. Auch ein kurzer Exkurs in die bisherige Mietergeschichte, unter Erwähnung zahlreicher Namen oder deren französischer Entsprechung wird nicht fehlen. Sodann ist eine Zimmerbesichtigung ratsam, anlässlich derer verschiedenste dringende Renovierungsarbeiten sowie die Beschaffung von allerhand Zusatzgeräten in der Wohnung für die "allernächste Zeit" angekündigt werden dürften.
Das dem Interessenten angebotene Zimmer sollte von diesem in den höchsten Tönen gelobt werden. Eventuelle Schäden oder Reparaturbedürftigkeiten sollten ignoriert werden, da ohnehin umgehend deren "sofortige", zumindest aber am selben Abend geplante Beseitigung beteuert werden wird.
Scherze über bald eintreffende, gut gebaute Französinnen als Mitbewohnerinnen sollten wohlwollend aufgenommen werden. Wenn dann schließlich Einigkeit über den Abschluss eines Mietvertrages besteht, ist die erste Hürde genommen. Am vereinbarten Tag des Einzugs ist üblicherweise abermals ein Anruf fällig. Daraufhin ist das bereits vorgebrachte Anliegen noch einmal genau zu erläutern, denn man wurde üblicherweise bereits wieder vergessen. Gelingt es allerdings, die Schlüsselgewalt über die Immobilie zu erlangen und vielleicht sogar seine Koffer in eines der Zimmer zu platzieren, so kann man sich über das Erreichen eines weiteren Zwischenziels freuen.
Einige Anrufe, Erinnerungen, Erklärungen und Ortstermine später könnte man dann tatsächlich auch im Besitz eines Dokuments sein, welches ortsüblich als Vertrag über die Überlassung von Wohnraum angesehen wird. Man hat dann, ob man es glaubt oder nicht, tatsächlich ein Zimmer in Nizza gemietet.


(Einheimischer Wohnungseigentümer und Heimwerker, vertieft in das traditionelle, alljährliche Vermieten)

1 Comments:

Blogger Leonard said...

Sehr schön. Ich bin entzückt!

6:00 PM

 

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